Der Kunsthistoriker Dr. Knut Soiné über den Bildhauer Wil Albertz
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Wil Albertz Plastiken

Keine bunten Bilder, keine großen Gesten, nichts Spektakuläres.

Skulpturen haben es in der Regel schwerer als die Malerei und erst recht, wenn sie sich der Abbildlichkeit scheinbar oder tatsächlich verweigern, wenn sie nicht monumental, nicht gewichtig daher kommen, wenn sie sensiblesgenaues Betrach-ten einfordern, bevor sie all ihre Reize und ihre Qualitäten preisgeben, wenn sie den Betrachter nicht schon durch ihre schiere Größe und Präsenz von ihrer Bedeutung überzeugen.
Aber es lohnt, sich von unserer rasanten Alltagswahrnehmung zu trennen, um den Plastiken von Wil Albertz näher zu kommen.


Die für den flüchtigen Betrachter scheinbar doch so gleichartigen Objekte werden mehr und mehr in ihren besondern Qualitäten sicht- und erfahrbar, in ihren unterschiedlichen Richtungen, ihrer lagernden oder aufstrebenden, in ihrer drängenden oder ruhenden Eigenart, in ihren Besonderheiten von Oberfläche, Farbe und innerer Spannung. Gegenständliche Assoziationen sind dabei keineswegs ausgeschlossen aber dennoch nicht einziges Ziel. "Ein-" deutig wollen diese Werke nicht sein. Sie bleiben offen für persönliche Sichtweisen und Assoziationsfelder, aber sie wollen ge-nau besehen werden, und gewinnen dabei mehr und mehr an Individualität. So sind auch die Titel Anstöße, Angebote, Anregungen - nie jedoch erschöpfende Auskunft über das, was die Werke selbst uns mittzuteilen haben.

Wenn man sich einläßt auf eine solche Skulptur, dann sieht man die vielgestaltige keilförmige Großform, die sich in ihrer unbestimmten Gegenständlichkeit ohne Zweifel erhebt, steigert und aufstrebt. Trotz - oder besser wegen - aller Verzwei-

gungen, Membrane, Stege ist dieses Aufsteigende, Emporgerichtete unzweideutig, die Gerichtetheit der Form offenkundig. Und doch gibt es keine eindeutige Schauseite, keinen kompakten Körper keinen massigen Block Materie, sondern einen aus vielfach variierten Strukturen entfalteten Raum-Körper, dessen Großform von Einzelformen konstituiert und durch-

drungen wird. Lebhaft, gleichsam animiert, scheinen die einzelnen Verzweigungen emporzuwachsen, keine der anderen gleich, doch in harmonischem Zusammenhang. Kräftige Stege, Öffnungen, Durchblicke, dünne geschwungene Wandu-

gen, Mulden, Buckel, Rinnen, blattartig ausgreifende Schichten folgen scheinbar vegetabilen, natürlichen Strukturen, vervielfacht durch Licht und Schatten, läßt die Formerscheinung zugleich den Prozeß der Werkentstehung immer sichtbar bleiben. Ohne Zweifel, es stellen sich unmittelbar gegenständliche Assoziationen ein, ein wucherndes Pilzgewächs, ein skelettartiger Knochenaufbau unbekannter Kreaturen, groß gesehene Blütendolden - alles zugleich und keines ausschließ-

lich. Seltsam vertraut erscheint das Fremde, bereits Bekanntes sieht man neu, die altbekannte Form in überraschend anderer Materie, das spröde, rauhe Material verbunden mit weichen, fließenden Formen - beides vertraut, doch so noch nie gesehen. Wo ist das Bekannte, wo das Unvertraute, - wo genau der Widerspruch? An diesen Fragen mag sich der Betrachter entzünden, reiben und den Werkprozeß in die Gegenwart forttreiben.

Man kann, wenn man will, die Kunst von Wil Albertz der informellen Plastik zuordnen. Wie diese folgt sie keinem vorgeplanten Ideal-entwurf, dessen möglichst genaue Realisierung Ziel mancher Bildkunst ist. Wie diese entsteht hier aus Materie und Imagination ein Formvokabular, das in sich selbst seine eigene Gestaltlogik entwickelt, die dann der Künstler prüft, der er nachspürt und die er forttreibt, und die gleichsam organisch das Werk entstehen läßt.

Überschaut man das hier präsentierte Werk von Wil Albertz, so wird die Wandlung seiner Kunst unmittelbar deutlich, eine Wandlung allerdings nicht nur in Material, Form und Motiv, eine Wandlung auch im künstlerischen Ziel, im Arbeitskonzept, ja in der Gewichtung von Schöpfer und Werk, und dennoch eine Wandlung voll innerer Konsequenz.

In den frühen Arbeiten spiegelt sich nach Materialwahl und Arbeitsprozeß ein gänzlich anderes Konzept als heute. Im Frühwerk dominiert die gestellte Aufgabe, das Thema den Gestaltungsprozeß, - ist das Ziel das Bildwerk, die vollendete Form. - Heute ist der Weg das Ziel. Nun ist das Werk wichtiger als der Künstler, nicht sein Ziel, seine Intention steht hier im Vordergrund, - nein Form und Material mit ihren je besonderen Eigenschaften fordern nun ihr Recht.

Der sorgfältige, langwierige - genauer Planung folgende Steinguß gibt am Ende der Figur, dem Portrait Bestand. Die Handschrift, die Textur des Formprozesses sind geglättet, zurückgenommen in die dauerhafte Erscheinung der Großform. Doch schon an diesen Beispielen wird klar, Wil Albertz ist kein Bild-Hauer. Er legt den Körper der Statue nicht frei aus einem Block Materie - er bildet, formt, baut auf, entwickelt mit dem Material aus seiner Imagination und Beobachtungsgabe Werke, die schon hier die Signatur des Plastikers - des sculpteurs - tragen.

Bei den vegetabil-naturalen Formen der achtziger und neunziger Jahre in Terrakotta dagegen sollte man sich nicht täuschen lassen. Auch ihre Unmittelbarkeit und Materialnähe sind ohne planerisches Vermögen, eine lange Erfahrung und hohe gestalterische Sensibilität nicht vorstellbar. Man muß schon sehr genau wissen, was der Ton kann, welche Farbe der Brand bei welcher Temperatur erzeugt, um Wandstärken, Stege und Gesamtgröße entscheiden zu können, ein lederartiges Gelb, ein zartes Rosé oder knochiges Weiß schon beim Formprozeß mitzudenken. Diese Arbeiten brauchen Zeit, um zu wachsen und einen geduldigen Gestalter wie Wil Albertz - aber auch einen ebenso geduldigen Betrachter.

Dr. Knut Soiné, Bremen 1998

 


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Der Kunsthistoriker Klaus Flemming über den Bildhauer Wil Albertz
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WIL ALBERTZ

Blick ins Material– Unikate in Terrakotta

Es gibt keine Kunst ohne Konstruktion und ohne Poesie, sie würde nicht existieren.
Wenn man die Konstruktion und die Poesie entfernt, fällt die ganze Kunst in sich zusammen.

Eduardo Chilida



Wenn der Bildhauer Wil Albertz einen „Blick ins Material“ verspricht und dieses mit „Terrakotta“ auch gleich benennt, so ist das mehr als eine bloße Ausstellungsankündigung – mehr übrigens auch, als die Absichtserklärung, die spezifischen Eigenschaften dieses uralten Werkstoffes bildnerisch auszuloten. Denn ein „Blick ins Material“ ist in zweifacher Hinsicht paradox: Zum einen ist quasi naturwissenschaft-lich fundierte Materialanalyse nicht eigentlich Künstlermetier, zum anderen dürfte die Erdenschwere der Ursprungssubstanz wohl kaum geeignet sein, die aufgeführten Albertz-Themen kongenial zu fassen.

Dieser Eindruck drängt sich bei der Lektüre der Werktitel jedenfalls auf, die da zum Beispiel heißen „Quelle“, „Mistral“, „Springbrunnen“, „Tanz“ oder „In Flammen“. Denn in den meisten Fällen bezeichnet bei den Albertz-Terrakotten der Titel Phänomene oder Elemente, die sich in der Realität durch starke Bewegungsimpulse hervortun. Und solche flüchtigen, um nicht zu sagen unberechenbaren und impulsiven Verläufe, die sowohl als kleines Naturereignis wie als gigantisches Kraftfeld in Erscheinung treten können, sollen sich nun mittels einer Materie von archetypischer Kompaktheit in gültige Bildmetaphern überführen lassen? Synonyme des Undinglichen, gebannt in verklumpte, modellierte, getrocknete, gebrannte Materie? Widerspruch über Widerspruch!

Aber das ist Terrakotta nun einmal, „gebrannte Erde“: „Der Ton wird nach Bedarf mit Feldspat und Quarzsand sowie Schamottemehl innig vermengt und nach der Formgebung und Trocknung gebrannt...“ weiß der Große Brockhaus. Und ist dann fest und starr und – so sollte man jedenfalls meinen – ganz tot und unbeseelt.

Beschränkt sich ein Bildhauer auf statische Ausdrucksmittel, also auf den ihm ureigenen Materialkanon, so muß er – will er den Bewegungsimpetus adäquat erfassen – die Materie so organisieren, daß sie die Intention transfiguriert. Das geschieht bei Albertz so, daß der Bewegungsduktus in seiner jeweiligen Gerichtetheit durch frei modellierte Gefüge aus vegetabilisch anmutenden Ausstülpungen und Höhlungen paraphrasiert wird. Wie gekurvte und einander immer wieder neu und anders wuchernde Blätter erheben sich auf den Sockeln die Konstrukte: Auf- und abschwellend, sich wieder vereinend, kelchartig verengt, ausbrechend und verdichtend, Raumumhüllendes und Raumerfüllendes, gesteigert noch durch die Überlagerungen, die sich dem umschreitenden Betrachter darbieten.

Und so ist die „Quelle“ eher flach gehalten in ihren erstarrten Strudeln im Vergleich zur emporsteigenden „Fontäne“, der „Mistral“ erscheint als dräuende Wand (trotz seiner unruhigen Durchlässigkeit) und der „Tanz“ offenbart sich als dialektisch aufeinander bezogene Doppelform in spiralig anmutender Torsion.

Dabei werden die Bewegungsassoziationen in erster Linie durch zwei Elemente evoziert, die das Auge in Windeseile im blitzschnellen Nachfahren dynamisiert: Da sind zum einen die wellenförmigen, geschwungenen Kantenlinien, welche die gewundenen Flächen linear begrenzen und die Licht- und Schattenelemente separieren. Zum anderen ergibt sich durch die virtuos miteinander verbundenen Kavernen eine Bewegung in die Tiefe hinein, die assoziativ als weiterreichend empfunden wird, als die tatsächliche Skulpturendimension ausweist. Aber erst im Zusammenspiel, im Doppelklang des suggerierten Bewegungsimpulses, der als vielstimmiger Akkord wahrgenommen wird und sich immer wieder der analytischen Exegese zu entziehen versteht.

In diesem Sinne ist auch das zitierte Chillida-Wort zu verstehen, das die scheinbar so widersprüchlichen Antipoden Konstruktion und Poesie zur Deckung bringt. Das kennzeichnet in der Tat Künstlertun (und Lassen): Daß das scheinbar Unvereinbare beredt gemacht wird. Daß Schnittmengen herausgearbeitet werden, die den angewandten Wissenschaften verborgen bleibt. Daß bloße Erde mit einem nie gesehenen und geahnten Inkarnat verbrämt wird. Daß sein kann, was nicht sein darf.

Klaus Flemming, Mönchengladbach 2005